Mobbing und Aggression sind weit verbreitete Phänomene in Schulen und anderswo. In einmütiger Hilflosigkeit wird hierzulande nach schärferen Strafen, mehr Konsequenz und Zivilcourage gerufen. In Kanada beschreitet die Organisation Roots of Empathy (Wurzeln der Empathie) einen ganz anderen Weg: Sie bringt Kindergarten- und Schulkinder in einem systematischen Programm in regelmäßigen Kontakt mit Babys. Mary Gordon, die Gründerin des Programms sagt: “Wenn wir von Sicherheit sprechen, geht es nicht um Regeln, sondern darum, wie sich die Kinder innen drin fühlen.” Sie hat in der Arbeit mit gewalttätigen Eltern erfahren, dass denen oft der Zugang zu Empathie verbaut ist, weil sie selbst kaum Empathie erfahren hatten. Und wo die Empathiefähigkeit fehlt, kann Gewalt ausufern. Mit dieser Erkenntnis wollte sie direkt an der Wurzel ansetzen und die Empathiefähigkeit von zukünftigen Vätern und Müttern verbessern und entwickelte das Programm “Roots of Empathy”, das mittlerweile in über 12.000 Klassen in Kanada durchgeführt wurde.
souljourney7 / PixabayMütter und Väter übernehmen mit ihren Neugeborenen quasi eine Patenschaft für die Klassen. Die Eltern kommen mit ihren Babys über einen Zeitraum von 9 Monaten jeweils einmal im Monat zu Besuch in eine Klasse. Zu Beginn sind die Babys dabei 2 bis 4 Monate alt. Ein geschulter Anleiter begleitet das Programm. Während des Besuches sitzen Mutter, Baby und die Kinder auf einer grünen Decke am Boden. Die Kinder beobachten, nehmen die Perspektive des Babys ein, feiern gemeinsam das, was das Baby neu gelernt hat, singen Lieder, vermuten, was das Kind braucht, wenn es schreit und fühlen sich unter Anleitung auf viele verschiedene Weise in das Baby ein.
Das Faszinierende: Die Auswirkungen auf die Klassen sind nach wissenschaftlichen Begleituntersuchungen enorm. So nimmt die proaktive Aggression der Kinder deutlich ab. Damit ist das Verhalten gemeint, wo Kinder “ohne Anlass aggressiv” gegen andere vorgehen. Bei 88 % der Kinder, die dieses Verhalten zeigten, nimmt es im Verlauf des Programms ab. In der Kontrollgruppe nimmt es nur bei 9 % ab – und bei vielen nimmt es zu. Auch “Beziehungsaggressivität” wie Hänseln, Tuscheln, Ausgrenzen nimmt ab. In der Provinz Motiba wurde das Programm in 300 Klassen angewandt und der Anteil der Kinder, die in Kämpfe verwickelt waren, halbierte sich fast (von 15 auf 8 %). “Ganz nebenbei” nahm auch die Empathiefähigkeit der Lehrer zu, was Mary Gordon, die Gründerin des Programms zu dem Satz inspiriert: “Empathy can’t be taught, but it can be caught.” ((Empathie kann nicht gelehrt werden, aber sie kann aufgeschnappt werden).
Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung des Artikels “Fighting Bullying With Babies” von DAVID BORNSTEIN in Opinionator, einem Online Service der New York Times, wo sich noch eine Vielzahl weiterer lesenswerter Artikel finden. Der Originalartikel enthält zusätzlich Ideen zu den Neurobiologischen Wirkweisen und eine Vielzahl interessanter Links und Aspekte.
2 Antworten zu “Babys als Mobbingprävention”
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Danke Gerhard, für den Artikel und für deine Übersetzung. Kinder (Babys) in ihrer Ursprünglichkeit erfahren, berührt mich immer wieder sehr. Die Idee, wie dort beschrieben, löst Staunen, viel Hoffnung und Freude in mir aus! Nachahmeswert!!!
Ich arbeite in meinen Seminaren oft auch mit sehr ausdruckstarken Kinderfotos (Bilder die wundervoll berühren und welche, die schwere Betroffenheit auslösen können), die ich aus einem Buch “Kinder” habe. Wir fühlen uns dann in diese Kinder ein, während eine Person von uns dieses Kind vertritt. Die Arbeit löst jedes Mal bei den meisten freudige Überraschung und auch Betroffenheit aus. Plötzlich ist erlebbar, wie hungrig Kinder nach Lernen, Wachsen und Abenteuter sind, wie tief sie Staunen und Lieben! Wie selbstvergessen sie sich hingeben können! Wie mutig sie sein können! Aber auch ihre große Angst, Verzweiflung,Einsamkeit, ihr absolutes schutzloses Ausgeliefertsein. Ihr absolute unschuldige Abhängigkeit von den Erwachsenen. Wir kommen bei dieser Übung sehr tief mit unseren eigenen Bedürfnissen in Kontakt.
Vielleicht mag jemand mit dieser Anregung etwas anfangen.
Liebe Grüße,
Roland
Ich bin seit ein paar Monaten Grossmutter. Die Kleine hat es tatsächlich geschafft, ein paar ganz harte Nüsse in der Verwandtschaft zu knacken. Sie hat Leute dazu gebracht am gleichen Tisch zu feiern. Da soll einer nochmals sagen, dass Babys “nichts tun” und “noch nicht viel können”! Luzia