Gewaltfreie Kommunikation für machthungrige Menschen

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Macht ist für manche Menschen in der Gewaltfreien Kommunikation ein Werk des Teufels. Und tatsächlich sind wir täglich in der Familie wie in der Politik mit den Auswüchsen einer Machtausübung konfrontiert, in der es darum geht, dass der Stärkere siegt.  Marshall Rosenberg sagt dagegen, dass Gewaltfreie Kommunikation etwas für machthungrige Menschen sei. Wie geht das zusammen? Mit diesem kurzen Artikel möchte ich dazu einladen, ein neues Verständnis von Macht zu entwickeln, sich mit der eigenen Macht anzufreunden und den eigenen Machthunger als Wegweiser zu entdecken.

Für mich kommt Macht von “machen” oder “tun”. Sie ist die Fähigkeit, tatsächlich das zu machen, was mir besonders geeignet scheint, die Welt zu gestalten, in der ich leben möchte oder wie es Miki Kashtan formuliert hat “die Fähigkeit, Ressourcen zu mobilisieren, um Bedürfnisse zu erfüllen“. Machtvoll zu sein, bedeutet dann, mehr Wahlmöglichkeiten zu haben, mehr Entschlossenheit und Energie für meine Anliegen und Werte, mehr Klarheit und Bestimmtheit in meinen Prioritäten ohne eng zu werden. Klingt das attraktiv? Und ganz in diesem Sinne ist Gewaltfreie Kommunikation ein wunderbares Hilfsmittel und eine Unterstützung für machthungrige Menschen.

Um mehr Klarheit in Bezug auf den Begriff Macht zu erhalten, ist es für mich hilfreich, zwischen verschiedenen Formen der Machtausübung zu unterscheiden. Das, was wir traditionell als Macht kennen, lässt sich mit dem Begriff “Herrschaftsmacht” (oder “Macht über”)  beschreiben. Das ist nach Richard Rohr die Fähigkeit Ereignisse oder andere Menschen mittels Zwang, Strafe, Drohung, Geld oder andere Formen äußerer Gewaltanwendung zu steuern. In dieser Art von Machtausübung gedeiht Angst und sie beruht überwiegend auf Angst, auch wenn diese oft nicht zugegeben oder bewusst empfunden wird. So kann ich Aung San Suu Kyi zustimmen, wenn sie sagt “Es ist nicht die Macht, die korrumpiert, sondern Angst”. Der Preis, den wir für die Ausübung von Herrschaftsmacht zahlen, ist auf die Dauer bei allen Beteiligten sehr hoch.

Was ist die Alternative dazu? Ohnmacht? Das wäre jedenfalls keine attraktive Alternative für mich. Gott sei Dank gibt es noch andere Wege auszuüben. Hier ist vor allem die “Beziehungsmacht” oder “Macht mit” zu nennen. Kinder und Enten sind besonders geschickt im Nutzen von BeziehungsmachtDiese Macht erwächst daraus, dass ich in der Lage bin, andere Menschen für etwas zu begeistern und es für sie attraktiv zu machen, mich und mein Anliegen zu unterstützen. Sei es, dass es darum geht, dass ich um eine Massage bitte oder eine große Organisation aufbauen will. Anders formuliert: “ich gebe Anderen die Gelegenheit, ihr Bedürfnis nach Beitragen” zu erfüllen. Das ist dann mit einem erheblichen Glücksgefühl verbunden. Kinder sind wahre Meister in dieser Art der Machtausübung. Viele große Initiativen beruhen auf dieser Art von Macht. Eng verbunden mit der Beziehungsmacht oder “Macht mit” ist die spirituelle Macht, wie sie Richard Rohr beschreibt. Es handelt sich dabei um “die Fähigkeit, andere innerlich zu verändern mit dem wer wir sind und indem wir unsere Weisheit teilen”. Viel von dieser Macht steckt in dem, was wir als Charisma oder natürliche Autorität bezeichnen. Um diese Macht wirklich zu kultivieren, braucht es aus meiner Sicht die Kombination mit der alten Tugend “Demut”. Ich merke, wie es mich reizt, v.a. diese Macht und die Beziehungsmacht in mir zu nähren und zu fördern.

geschrieben am 12. April 2010 von Gerhard Rothhaupt

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6 Antworten zu “Gewaltfreie Kommunikation für machthungrige Menschen”

  1. Dirk sagt:

    Ich glaube mit der Macht ist es letztlich ebenso wie mit der Gewalt: Jeder tut es. Nicht weil wir grundsätzlich machthungrig und gewalttätig wären, sondern weil beides eben nunmal sehr erfolgreiche Mittel sind, um das zu bekommen, was wir wollen.
    Die von dir aufgezeigten positiven Aspekte von “Beziehungsmacht” zeigen sicherlich gute Perspektiven für einen sehr wichtigen Bereich unseres Lebens, sie sind für mich aber nur ein sehr kleiner Teil von Machtausübung. Ein konstruktiver “Machtwechsel” in deinem Sinne setzt nunmal persönliche Beziehungen voraus, und die unterhalten wir in der dafür erforderlichen Qualität immer nur zu einer sehr überschaubaren Anzahl von Menschen.

    In meinem Leben begegne ich dagegen viel häufiger einer anderen Form der Machtausübung, die ich mal einfach als “Macht des Faktischen” bezeichnen möchte. Ein Beispiel:
    Für den Weg zum nächsten Einkaufszentrum entscheide ich mich mit dem Auto zu fahren. Das ist bequem und erfüllt mein Bedürfnis nach unkomplizierter Mobilität. Während ich nun fahre ärgere ich mich möglicherweise über den stockenden Verkehr und die nervige Parkplatzsuche, ich verschwende aber nicht den geringsten Gedanken daran, dass mein gewohntes Tun eine ganze Reihe gravierender Nebenwirkungen nach sich zieht. Giftige Abgase und Lärm, Strassen- und Parkplatzbau, Ressourcenverbrauch und Umweltzerstörung. Diese Nebenwirkungen betreffen eine große Zahl von Menschen – ich glaube ich muss das im Detail an dieser Stelle nicht weiter ausführen – zum größten Teil aber eben Menschen, mit denen ich nicht in persönlicher Beziehung stehe. Und eben deshalb fällt es mir auch so leicht, die Nebenwirkungen meiner Handlung auszublenden.
    Für die Menschen die es direkt betrifft ist meine simple Autofahrt aber – so behaupte ich hier – Machtausübung und Gewalt in Reinkultur. Ein Kind dass im Spiel nicht einmal mehr einfach seinem Ball hinterher laufen kann, ohne beträchliche Gefahr von einem Auto überfahren zu werden, erfährt eine erhebliche Einschränkung seiner Bewegungs- und Entfaltungsmöglichkeiten. Und dieser “Macht des Faktischen” ist es vollkommen ohnmächtig ausgeliefert. Es kann nicht das geringste dagegen tun, dass die Stadt in der es lebt ein kinderfeindlicher Asphaltdschungel ist, in dem an jeder Ecke Gefahr für Leib und Leben lauert, und es kann nicht das geringste dagegen tun, dass die Luft die es atmet krank macht.

    Nach meiner Auffassung wird unser Leben ganz überwiegend dadurch bestimmt, was andere Menschen einfach tun, weil sie die Macht haben es zu tun, und es sie schlichtweg nicht kümmert, welche Konsequenzen ihr Verhalten für ihre Mitmenschen hat. Und ich fürchte Gewaltfreie Kommunikation hat dieser alltäglichen Gewalt nicht viel entgegen zu setzen, einfach weil über die engen Grenzen unserer persönlichen Beziehungen hinaus garkeine Kommunikation stattfindet.

  2. Markus Sikor sagt:

    Hallo Dirk,
    ich finde, Du wirst da spannende Fragen auf… und Danke an Dich Gerhard, für die Initiative mit diesem Beitrag.
    Wenn ich Dirk richtig verstehe, hast du eine sehr fassende Definition von “Macht”: Macht ist jeder Einfluss, den ich auf das Wohlbefinden anderer Menschen ausübe. Du nennst das “Macht des Faktischen”.
    Ich würde dafür lieber Begriffe wie “Einfluss” oder “Auswirkungen” verwenden (als Volkswirt haben wir dafür den Begriff “externe Effekte”).
    Mir wäre lieber den Begriff “Macht” auf die bewusste Gestaltung und den bewussten Umgang mit meinem Einfluss auf das Befinden anderer Menschen zu verwenden.
    Wenn ein Lehrer seine Schüler anschreit (um damit zu bekommen, was er möchte), dann übt er Macht aus, auch weil die Schüler in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen.
    Wenn der gleiche Lehrer im Wald rumschreit, stört er vielleicht mich als Spaziergänger und ein paar Vögel – er hat Einfluss auf mein Wohlbefinden. Aber ich finde, da passt der Begriff “Macht” nicht. Oder?
    Mit herzlichen Grüßen,
    Markus Sikor

  3. Dirk sagt:

    Hallo Markus,
    du hast völlig recht, meine Auffassung von Macht ist sehr umfassend – und ich vertrete diese Auffassung auch ganz bewußt.

    Bewußtsein ist meiner Meinung nach kein gutes Kriterium für Machtausübung im Sinne von Einfluß nehmen. Reflektiert denn der Lehrer sein Verhalten, wenn er seine Schüler anschreit? Ist er sich bewußt, dass er Macht ausübt? Und ist er es nicht (keineswegs unwahrscheinlich, wie ich meine), übt er er dann keine Macht aus?
    Ich denke, es spielt keine Rolle, ob ich mir Gedanken über die Konsequenzen meines Tuns mache, oder nicht. Und nach meiner Erfahrung ist es vielfach geradezu angesagt, jegliche Reflexion über Konsequenzen auszublenden. Das heisst dann “Let’s have fun” oder “Selbstverwirklichung”.

    In meinem Beispiel nutzt der gedankenlose Autofahrer sogar ein äußerst machtvolles Werkzeug: 1,5 Tonnen Metall und Kunststoff bewegen sich beim kleinsten Druck auf das Gaspedal, und schützen gleichzeitig den Fahrer wie eine Ritterrüstung. Wenn das keine lustvolle Machtausübung ist!

    Im Kern geht es mir aber eigentlich um einen anderen Punkt: Noch vor 100 Jahren war der Einfluß von Individuen und auch größeren Bevölkerungsgruppen auf ihr Umfeld von nur geringer Reichweite. Ein Interessenausgleich war vielfach durch direkte und persönliche Kommunikation möglich. Das hat sich m.E. grundlegend geändert. Der Einfluß meines Verhaltens als Teil einer hochindustrialisierten und ressourcenfressenden Gemeinschaft ist global und bestimmt die Lebensumstände von vielen Millionen Menschen, und zwar in einem Umfang, der den Einfluß direkter Machtausübung durch Personen vor Ort als völlig bedeutungslos erscheinen läßt.
    Und selbst innerhalb unserer Gesellschaft wird das Leben vieler durch die konkreten Handlungen weniger bestimmt. Diese Wenigen sind für mich ebenso anonym, wie ich es für Menschen in Afrika oder Südamerika bin. Konzepte wie Gewaltfreie Kommunikation gehen hier weitestgehend ins Leere.

  4. Gabriel sagt:

    Hallo zusammen.
    Man kann im Denken des Menschen Dual-Muster finden. Das sind Entweder-Oder-Orientierungsmuster, die uns den Eintritt in diese Welt (das Lernen der Welt, wie es Castaneda bezeichnet) erleichtern sollen. Sie ermöglichen ein Grundverhaltensprogramm zum Überleben. Sie spiegeln jedoch nicht das Leben wieder, Marshall spricht vom lebensentfremdeten Denken und das läuft innerhalb dieser Dual-Bewertungsmuster ab. Eines dieser Muster ist “richtig-falsch”, andere: “gut-böse” oder “Unterordnung-Dominanz”. Diese Dual-Welt hat einen Abstand zum Leben (Schwarz/weiße und nicht farbige Welt). Bedürfnisse sind in dieser Welt Begierden, da sie wie ein Sog immer personenbezogen sind, während Bedürfnisse interaktiv sind und nicht dual innerhalb von 2 Extremen verhandelt werden können. Um aus dem dualen Denken herauszukommen, muss man zum einen die Unsicherheit ertragen, nicht mehr genau zu wissen, wie etwas ist (Die Dual-Muster geben eine schnelle Orientierung). “Richtig-Falsch” wird dann zur ständigen kreativen Suche nach der situationsadäquaten Balance. Ich nenne das dann Polarität – das Management von Gegensätzen, anstatt Gegensätze zu leben.

    Ich nenne Macht im Dual-System Dominanz. Sie ist untrennbar mit Unterordnung verbunden. Der Sinn von Dominanz und Unterordnung ist für das Individuum ein Platz im Gemeinschaftsgefüge, für die Gemeinschaft eine soziale Ordnung, die Überlebensschutz bietet. Wenn sich das System auf polare Strukturen einstellt (von der Subsistenz zur Existenz), werden Ordnung und Platz sehr flexibel, da man sich immer neu möglichst effektiv zu den Interaktionen positioniert. Dann kann man eben auch nicht mehr sagen, wie man ist, sondern nur, welche Bedürfnisse innerhalb der Interaktion erfüllt und welche nicht erfüllt sind. Diese Flexibilität muss erst einmal ertragen sein. Bekommt das einen größeren Einfluss auf uns Menschen, brauchen wir auf einmal eine lebendige Sprache, Unternehmen wandeln sich dann zu Unternehmungen, die Personen sind nicht mehr angestellt sondern ordnen sich immer neu zu. Jeder sucht seine “Macht mit” einer Interaktionsgruppe, und auch Führung ist nur ein gleichwertiger Interaktionsbeitrag (Dienende Prozess-Führung statt herschende Menschen-Führung).

    In diesem Diskurs wäre dann Macht je nach dem aktiven Feld des Interaktionskreises entweder:
    1. pers. Potenzial (Ich-Feld :Gesundheit, Kraft, Balance, ..)
    2. Gruppen-Potenzial (Du/Wir-Feld: Fürsorge, Information, Kommunikationsstruktur und -kultur, Achtsamkeit, soziale Balance …)
    3. Wirkpotenzial im Wachstumsfeld (Wissen, Effektivität, Heftigkeit, Unerschrockenheit …).

    Liebe Grüße,
    Gabriel

  5. Niklas sagt:

    Lieber Gerhard,
    spannendes Thema, das für mich immer wieder Diskussion und Überprüfung braucht. Am Umgang mit Macht stelle z.B. ich sehr schnell fest, wie gut der Kontakt zu den Bedürfnissen in mir und in anderen wirklich ist. Ist er gut, fällt’s mir leicht mit Integrität und FÜR meine Werte und Bedürfnisse mit Kraft und Bestimmtheit einzustehen, ohne dabei auf Angst oder Druck zu setzen. Ist der Kontakt nicht gut, bin ich manchmal schon erleichtert, wenn nur irgendwer mich ernst nimmt und ich und mein Anliegen Aufmerksamkeit bekommen – selbst wenn’s auf der Basis von Angst ist und ich “eigentlich” weiß, dass ich dafür zahlen werde. Das bringt immer wieder Schwierigkeiten, denn die Enge kann echt hart sein. Langsam und mühsam komm ich da raus…

    —-
    Lieber Dirk,
    ehrlich gesagt passt für mich zu deinem Begriff “Macht des Faktischen” ein schweres Gefühl der Ohnmacht auf deiner Seite. So als wären (anonyme) Menschen schwere Gewichte, die sich gar nicht oder nur mit Mühe bewegen ließen. “Macht des Faktischen” klingt auch ein wenig wie “Sachzwänge”. Mir fehlt da die Verantwortung der handelnden Menschen, die Entscheidungen treffen und mit den Konsequenzen leben müssen. Nimmst du die noch wahr?
    Ich werd bei deiner Perspektive auch ganz schön missmutig und sehe Windmühlen vor mir, die ich bekämpfen müsste, um von dieser Macht des Faktischen frei zu sein und meine eigene Gestaltungsmacht, meinen Einfluss spüren zu können. Vielleicht ist das so. Die Perspektive ist mir jedenfalls nicht unbekannt, aber zur Inspiration, wozu meine Macht und mein Einfluss dienlich sein können, dient dieser Blickwinkel mir nicht.
    Oder wo magst du ansetzen? Willst du das überhaupt? Glücklich scheinst du ja mit den anonymen Gegebenheiten nicht zu sein – oder versteh ich dich falsch?

    —-
    Lieber Gabriel,
    dein Beitrag geht mehr in eine ermutigende Richtung. Potenzial seh ich gern 🙂 Und ja, ich sehe die Herausforderungen des Nicht-Wissens, oder Nicht-Einordnen-Könnens. Das sind meines Erachtens große Hürden dafür, achtsam zu leben und die Stützen der dualen Kategorien tatsächlich hinter sich zu lassen. Gut, sie benannt zu sehen.

    Herzlichst
    Niklas

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